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Dokumentation verschiedener Interviews mit Zeitzeugen

Interview mit einem ehemaligen DDR-Bürger (von Nina Toense):

Wie bekam man ein Telefon?

Man bekam ein Telefon nur durch Zufall. Ich habe kein Telefon bekommen und man hat nur eins bekommen, wenn man ein Geschäft oder eine Praxis hatte.

Beschreiben Sie ihre Wohnsituation?

Ich hatte eine ganz normale Wohnung mit Heizung und Warmwasseranschluss.

Wie haben sie den Mauerfall empfunden?

Ich empfand ihn als positiv, denn ich konnte das erste mal verreisen. Da ich im Osten aufgewachsen bin, habe ich aber nicht jeden Tag auf den Mauerfall gewartet.

Sind Sie jemals in den Westen gereist?

Nein, ich bin nie in den Westen gereist, weil ich nie das Bedürfnis hatte.

Hatten Sie Angst von der Stasi Überwacht zu werden?

Ich bin mit dieser Angst aufgewachsen und habe deswegen keine Angst, überwacht zu werden, weil es für mich normal war.

Hatte man mehr oder weniger Auswahl in der DDR als in der BDR an Lebensmittel?

Gab es Preisunterschiede?

In der DDR waren die Preise für Lebensmittel niedriger, aber es gab weniger Auswahl an Lebensmitteln, Zitrusfrüchte zum Beispiel gab es nicht sehr oft.

Wie war das Schulsystem in der DDR? Gab es eine Schuluniform? Gab es Unterschiede im Schulsystem der DDR und der BRD?

Es gab keine Schuluniform. Der Unterschied im Rahmenplan der DDR und BRD lag nur darin, dass in der DDR, die DDR besser dargestellt wurde als die BRD.

Interview mit einer Zeitzeugen aus dem Westen (von Nora Rieger):

Beschreiben Sie Ihre Wohnsituation.

Ich habe in West-Berlin in Spandau gelebt.

Welchen Beruf haben Sie zu Mauerzeiten ausgeübt?

Ich war gelernte Industriekauffrau und habe in der Küchenbranche und in der Teppichbranche gearbeitet. Außerdem noch als Aushilfe im Lottoladen und bei C&A.

Was haben Sie gerne in Ihrer Freizeit gemacht?

Ich bin viel Rad gefahren und schwimmen gegangen. Jede Woche bin ich einmal tanzen gegangen. Das waren damals so Tanzcafés, wo meistens zwei bis drei Künstler an einem Abend auftraten und Livemusik spielten. Außerdem habe ich Akkordeon gespielt.

Welche Gegenstände/Lebensmittel gab es nur im Westen?

Wir im Westen haben praktisch alles bekommen. In der DDR wurde beispielsweise in der Möbelbranche die 1. Wahl exportiert und nur die 2. bzw. 3. Wahl blieben in der DDR. Es gab dort nicht diese regelmäßige und gleichmäßige Verteilung wie im Westen und daher gab es in der DDR kaum Auswahl von zum Beispiel Lebensmitteln.

Wie haben Sie den Mauerfall empfunden?

Nach dem Fall der Mauer herrschte euphorische Stimmung und vor allem Freude, dass Familien wieder zusammengekommen sind und man Freunde wieder besuchen konnte. Zunächst konnte man es kaum glauben, dass die Mauer gefallen war und erst nach und nach wurde einem bewusst, was für neue Möglichkeiten es nun gab.

Was wissen Sie über das Schulsystem in der DDR?

Man hatte, wie heute 10 Pflichtschuljahre. In der DDR war die erste Fremdsprache Russisch und das Hauptfach war Staatskunde. Im Westen war die erste Fremdsprache Englisch. Die Grundstrukturen der Fächer waren ähnlich.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Reisen gemacht?

Für jede Reise durften wir nur vorgeschriebene Transitstrecken benutzen, die wir nicht verlassen durften. Man durfte höchstens 100 km/h fahren. Und an den Grenzen von DDR Bundesländern gab es Kontrollpunkte. Die Kontrollen waren recht hart und die Autos wurden durchsucht. Manchmal wurden sogar Autositze herausgenommen und der Boden wurde abgeleuchtet. Die Gesichter der DDR-Grenzbeamten waren sehr maskenhaft und sie sprachen und bewegten sich sehr statisch, daher war die Atmosphäre sehr beklemmend.

Waren Sie von Verwandten getrennt?

Nicht von direkten Verwandten. Allerdings von daraus entstandenen Freundschaften, die auch heute noch bestehen.

Kennen Sie Fluchtgeschichten von Freunden/Bekannten?

Nein, allerdings kamen die Gedanken von Flucht im Freundeskreis aus der DDR ab und zu zu sprechen.

Interview mit Godela Brandt (aus dem Osten geflohen, von Mieke Jürgens):

Kennen Sie Fluchtgeschichten von Freunden oder haben Sie welche selbst erlebt?

Ich bin 1961 in den ersten Stunden nach dem Mauerbau nach Westberlin geflohen. Es war ziemlich dramatisch. Am Vormittag war ich in Ostberlin bei mir zu Hause und dann kam so um 10 Uhr die Nachricht, dass die Grenzen geschlossen wurden. Ich saß also da fest und war praktisch am Tag vorher mit dem letzten S-Bahn-Zug am Abend vorher aus Westberlin nach Hause zurückgefahren. Das war auch irgendwie gespenstisch gewesen. Die Bahnsteige waren leer und es herrschte auch so eine kalte Atmosphäre. Es war total aufregend und dramatisch. Ich saß in Ostberlin fest. Ich bin dann in heller Aufregung zu meinen Eltern gefahren, was mach ich nun, was mach ich nun? Meine Mutter meinte erst mal, ich sollte mich beruhigen. Sie ging davon aus, dass, wenn man gute Bekannte im Westen hätte, also mein fast-Verlobter, dass man mich einfach rüber lassen würde. Aber ich wollte nicht abwarten und hab mir mit meinem Vater so spontan einen Plan gemacht. Wir haben uns eine Geschichte überlegt. Ich sei Westberlinerin und hätte einen Schulkameraden zum Interzonenzug gebracht. Ich wäre jetzt nur irgendwie in Ostberlin hängen geblieben und würde nun nach Hause in den Westen wollen. Meine Tante wohnte ja auch in Westberlin. Mein Vater meinte, ich könnte alles machen, nur mich nicht von den Grenzer festsetzten lassen. Eine Ausweis hatte ich nicht bei, aber mein Vater hatte mit noch 5 Westmark gegeben. Dann bin ich mit ihm in Westklamotten zur Grenze gefahren, erst einmal gucken. Das war Wollankstraße, die Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Pankow. Da kannte ich mich gut aus. Ich wohnte in Prenzlauer Berg und die angrenzenden Westberliner Bezirke kannte ich auch alle. Der S-Bahnhof bildete die Grenze, also eine Unterführung. Das Militär stand da quer über der Straße. Das war das Ostberliner Militär und die Soldaten waren auch bewaffnet. Diese Soldaten bildeten eine Mauer und dahinter waren noch zwei Mauern aus Soldaten. So, da musste ich nun durch. Dann bin ich senkrecht auf diese Soldaten zugegangen. Die erste Reihe hat mich durchgelassen, als ich sagte ich sei Westberlinerin. Die zweite Reihe hat mich dann allerdings gestoppt und meinte, jeder könnte hier ohne Ausweis ankommen und sagen, er wäre Westberliner. Ich war schon den Tränen nahe und hab dann aber einfach gesagt, ich würde jetzt da aber rüber wollen. Die wussten dann auch nicht so richtig, was sie machen sollten und haben dann einen Vorgesetzten geholt. Der war in Zivil, ich nehme an, dass er bei der Stasi war, der da so die Oberbefugnis hatte. Der hat mich dann noch mal von oben bis unten begutachtet und meinte dann: „Na gut, ok dann geh halt rüber.“, dann bin ich gegangen, mit schlotternden Knien. Auf der Westseite kam dann so ein kleines Zollhäuschen. Ich dann da rein, hab mich erst mal auf einen Stuhl gesetzt und sie fragten, wo ich herkomme. Ich nur: „Ja, ich komme von drüben“.

Später bin ich dann auch noch nach Marienfelde in dieses Flüchtlingsauffanglager gefahren und hab mich angemeldet. Ich hab dann auch schon etwas Geld bekommen, musste mich dann allerdings noch von den Amerikanern. Engländern und Franzosen durchchecken lassen. Ich hätte ja auch eine Spionin oder so etwas sein können, es ging aber zum Glück alles gut.

Beschreiben Sie ihre Wohnsituation.

In Ostberlin war ich schon relativ selbstständig, da ich schon begonnen hatte, eigenes Geld zu verdienen. Ich konnte mir eine eigene kleine Wohnung leisten.

In Westberlin war das alles anfangs ein ziemliches Provisorium. Anfangs bin ich immer abwechselnd bei meiner Familie und Freunden untergekommen und bin dann später auch bei meinem Westberliner-Verlobten eingezogen.

Hatten die ein Telefon?

Also im Osten hatte ich kein Telefon. Nur mein späterer Verlobter hatte ein Telefon.

Was haben Sie gerne in Ihrer Freizeit gemacht und was war möglich?

Ich hab eigentlich so ganz normale Sachen gemacht. In Ostberlin hab ich in einer Studentengruppe Theater gespielt und ich war auch im Kulturbund.

Welche Gegenstände hätten Sie gerne aus dem Westen besessen?

Es war absolut üblich, dass man Päckchen schickte. Man schickte so Luxus-Artikel, also Café, Schokolade, Strumpfhosen und Babywindeln zum Wegwerfen, so was gab es damals im Osten gar nicht.

Gab es einen Unterschied zum Leben vor und nach dem Mauerbau?

Sämtliche Verkehrsadern wurden unterbrochen. Alle S-Bahn-Verbindungen wurden unterbrochen, die hatten so Geisterlinien, wo die Züge einfach durch Westberlin durchfuhren, ohne zu halten.

Wir, also die Bevölkerung in Westberlin waren sehr beunruhigt. Wir wussten nicht, ob wir jetzt eine Art Insel sind und es kam ja auch keiner, um uns zu helfen. Alle haben sich gefragt: „Wann kommt Kennedy?“, aber es kam ja direkt nach dem Mauerbau niemand nach Westberlin. Das einzige was uns dann Kraft gegeben hat, durchzuhalten, war die Rede von Willy Brandt am Schöneberger Rathaus.

Wie war das Schulsystem in der DDR? Gab es Unterschiede im Schulsystem der DDR und der BRD?

Man konnte in der DDR nach 12 Jahren Abitur machen. Ich war dann in der Schinkel-Oberschule und ich bin dann auf den sprachlichen Zweig gegangen und hatte als Hauptfach Russisch. Es gab, glaube ich, genauso wie heute auch einen wissenschaftlichen und einen künstlerischen Zweig.

Welche Ausbildungsmöglichkeiten hat es gegeben?

Dann nach dem Abitur hab ich erst mal ein Jahr ein Praktikum gemacht in Hamburg an der Saale. Dann wollte ich eigentlich Literatur oder Theaterwissenschaften studieren, aber mein Durchschnitt war auch nur durchschnittlich und ich war auch nicht in der FDJ, wodurch ich eh keine Chance hatte. Mein Vater wollte auch das ich was

Ich bin da bei den Bibliothekarinnen gelandet, was dann auch nicht so schlimm war. Leider war dieses Fach etwas zu trocken, aber ich hab mich dann ganz gut eingefunden. Ich hab dann auch mein Examen gemacht und hab auch gleich eine Stelle an der Humboldt-Uni bekommen.

Wie sah die Arbeitslosigkeit aus?

Wir kannten Arbeitslosigkeit im Osten gar nicht. Wir kannten das nur so aus dem Geschichtsunterricht.

Welche Möglichkeiten hatten Sie in bezug auf die Wahlen?

Man konnte wählen. Es gab sogenannte Einheitslisten und das war eigentlich auch immer dasselbe. Es gab auch keine geheimen Wahlen, also die ganze Klasse ging zusammen wählen.

Wie sind Sie mit der Ausweispflicht umgegangen und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Ausreisen gemacht?

Das war immer.

Die Flüchtlinge bekamen einen sogenannten Flüchtlingsausweis. Die teilten sich in die A-, B- und C-Klasse. Ich wurde in die C-Klasse eingeteilt und hab dann auch schon einen Westberliner-Ausweis bekommen.

Sind Sie jemals in den Westen gereist?

Wir, also ich und mein Mann, haben später eine Westdeutschen Ausweis bekommen, was aber auch nicht so einfach war und wir haben diese Ausweise auch nur über Beziehungen bekommen. Mit diesen haben wir uns zum ersten Mal wieder getraut, in den Osten zu fahren, um meine Familie zu besuchen. Es war furchtbar, durch diese Kontrollen zu fahren.

Hatten Sie Kontakt zur Stasi?

Ich denke mir, bis 1961 hat es die Stasi schon gegeben, aber sie war damals noch nicht so massiv. Dass Menschen so extrem ausspioniert wurden und für einfachste Sachen ins Gefängnis kamen, begann erst nach dem Bau der Mauer.

Waren Sie von Ihren Verwandten getrennt?

Ja, ich war von meinen Eltern getrennt.

Wie empfanden Sie das Leben in der DDR im Rückblick und damals?

Was nicht von der Hand zu weisen ist, ist der Wohlstand. Wir sind ja die Generation, die Deutschland in Trümmern erlebt hat. Wenn ich heute Fotos von damals sehe, weiß ich immer noch nicht, wie wir es geschafft haben, dass alles wieder auszubauen. Die Russen haben ja im Osten auch alles, was nicht niet- und nagelfest war, abtransportiert. Im Osten hatten wir gar nichts. Meine Mutter hat mich immer getröstet, von wegen Godelchen später, später kannst du das alles haben. Es gab kein Obst, kaum Gemüse und so exotische Früchte wie eine Orange hatten wir nie.

Wie waren die Preise für Nahrung im Vergleich zu heute?

Also mit heute kann man das gar nicht mehr vergleichen, also so ein Brot kostete vielleicht so 50 Pfennig und zwar Ostmark.

Vermissen Sie Produkte aus der DDR, z.B. besondere Lebensmittel oder Gegenstände?

Nein, gar nicht.

Haben Sie einmal gegen das Gesetz verstoßen?

Meine Flucht war ja eigentlich ein Verstoß, aber ansonsten nicht.

Können Sie von Schicksalen von Freunden oder Verwandten berichten?

Ja, also, das war ja existentiell, also wir haben alle ja total zusammen gehalten. Es sind ja auch viele zusammen geflohen. Zum Beispiel der Jugendsegelverein aus Potsdam, die sind alle zusammen durch die Kanalisation geflohen.

Interview mit einer Westlerin (von Sara Hanzai):

Beschreiben Sie ihre Wohnsituation.

Das war eine Altbauwohnung in Berlin Friedenau. Wir haben im 4. Stock gewohnt und hatten 3 Zimmer.

Wie bekam man ein Telefon?

Das kann ich nicht genau sagen, weil meine Eltern das bekommen haben. Das war damals nicht so schwer.

Was haben Sie gerne in Ihrer Freizeit gemacht und was war möglich?

Wir haben ganz viel gespielt, vor allem in der Nähe der Straße. Dort waren einige Lücken von zerbombten Häusern und wir haben gerne in den grünen Lücken dazwischen gespielt, z.B sind wir Fahrrad gefahren oder waren Seilspringen.

Wie haben Sie den Mauerfall empfunden?

Völlig überraschend. Weil ich 1959 geboren bin, habe ich viele Geschichten gehört von meinen Eltern und Großeltern vor der Zeit, bevor die Mauer gebaut wurde und so war für mich der Mauerfall was ganz Tolles auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite hatte ich, weil ich als eine Frau während meines Studiums ab und zu mal ein Praktikum in einem Museum in Ost-Berlin machen musste und mit den DDR Polizisten schlechte Erfahrung gemacht habe, war es für mich anfangs unheimlich rüber zufahren.

Wie war das Schulsystem in der DDR? Gab es Unterschiede im Schulsystem der DDR und der BRD?

Die muss es gegeben haben. Die hatten eine längere Volksschulzeit gehabt, aber da kannst du mal bei „Google“ schauen.

Welche Ausbildungsmöglichkeiten hat es gegeben?

In West-Berlin gab es alle Ausbildungsmöglichkeiten. In Ost-Berlin gab es aber wenige, weil das abhängig war von deiner politischen Einstellung und der politischen Einstellung deiner Eltern.

Welchen Beruf haben Sie zu DDR-Zeiten ausgeübt und waren Sie mit diesem zufrieden?

Ich war mit meinem Beruf sehr zufrieden. Ich bin nämlich Archäologin geworden und bin dann auch viel herumgereist im Mittelmeerraum.

Wie sah die Arbeitslosigkeit aus?

Die Arbeitslosigkeit in West-Berlin war nicht so hoch.

Wie sind Sie mit der Ausweispflicht umgegangen und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Ausreisen gemacht?

Wir im Westen konnten auch nicht einfach so rüber. Meine Eltern mussten früher einen sogenannten Passierschein beantragen und dann durften sie bis zu 30 Tagen im Jahr ihre Verwandten im Osten besuchen.

Kamen viele Menschen ins Gefängnis?

Ja, es kamen Menschen ins Gefängnis im Osten aus meiner eigenen Familie.

Hatten Sie Kontakt zur Stasi?

Nein, im Gegenteil. Ich denke, wir sind eher beschnüffelt worden.

Leben Sie heute noch in alten Teilen der ehemaligen DDR?

Nein.

Wie waren die Preise für Nahrung im Vergleich zu heute?

In der DDR waren die Grundnahrungsmittel wie Brot und Milch deutlich günstiger.

Obst war ein absoluter Luxus, gab es selten und man musste dafür anstehen. Die Preise im Westen waren auch nicht sehr teuer.

Vermissen Sie Produkte aus der DDR, z.B. besondere Lebensmittel oder Gegenstände?

Nein, bestimmt nicht.

Haben Sie einmal gegen das Gesetz verstoßen?

Ja, öfter. Ich habe Zeitschriften rübergeschmuggelt.

Kennen Sie Fluchtgeschichten von Freunden oder haben Sie welche selbst erlebt? Können Sie von Schicksalen von Freunden oder Verwandten berichten?

Mein Onkel ist einer der Menschen gewesen, die 1963 versucht haben, einen Tunnel unter der Mauer zu graben und zu fliehen. Er ist aber erwischt worden, weil er verraten worden ist. Er war viele Jahre im Gefängnis Bautzen (ein bekanntes Gefängnis für DDR-Leute). Er ist wieder rausgekommen. Er war Ingenieur und ein sehr gebildeter Mann, aber er war nicht mehr normal. Er hat dort viele Dinge erlebt und wir wissen nicht, ob man ihm irgendwas gespritzt hat. Sein Sohn durfte nicht studieren, da sein Vater ein Republikflüchtling war. Er wurde vom Gymnasium genommen und musste sofort eine Ausbildung machen. Der Sohn wurde später Bauarbeiter.

Protokoll eines Interviews mit einer ehemaligen DDR-Bürgerin (von Esma Selvi)

Beschreiben Sie ihre Wohnsituation.

Jeder musste auf eine eigene Wohnung warten. Die Listen waren immer lang. Manche Familien mussten die unehelichen Enkelkinder und die Kinder aufnehmen. Einige Nachbarn lebten zu fünft in einer 2-Zimmer-Wohnung. Wir hatten Glück, wir hatten eine schöne 4-Raumwohnung für gerade mal 60 Mark. Nirgendwo waren die Mieten so niedrig wie in der alten DDR. Doch mein Mann verdiente auch nur 400 Mark.

Wie bekam man ein Telefon?

Auch hier gab es lange Wartezeiten. Glück, wenn man nach 3 Jahren einen Anschluss bekam. Manche Nachbarn kamen zum Telefonieren zu uns rüber.

Was haben Sie gerne in Ihrer Freizeit gemacht und was war möglich?

Wir haben eine Dadscha gekauft und verbrachten unsere freie Zeit dort.

Welche Gegenstände hätten Sie gerne aus dem Westen besessen?

Die neuesten Schallplatten, am liebsten Rock`n Roll, dann noch Kosmetika und Bücher.

Wie haben Sie den Mauerfall empfunden?

Wir sind gleich zum Check-Point-Charlie gefahren und mussten heulen. Wir hatten es nicht vorher geglaubt. Jeder DDR-Bürger hatte beim Grenzübergang in den Westteil 100 DM geschenkt bekommen. Wir waren 5, also hatten wir 500 DM zum Ausgeben. Wir zogen gleich zum KaDeWe. Noch nie war ich glücklicher, aus Angst, dass die Mauer wieder zu wäre, wollten viele nicht nach Hause.

Gab es einen Unterschied zum Leben vor und nach dem Mauerbau?

Auf jeden Fall, denn die Angebote aus dem Westen waren uns unbekannt. Wir hatten nie vorher im Leben einen „Döner“ gegessen. Die türkischen Döner-Besitzer hatten uns allen eine Portion spendiert. War das lecker! Überall gab es Obst zu kaufen, ohne dafür Schlange zu stehen, Bananen, Mandarinen, Ananas, Mangos und alles aus der Werbung.

Wie haben die Westler vor dem Mauerfall auf sie gewirkt, wenn sie in den Osten kamen?

Wir waren schon neidisch, die kamen mit ihren großen Autos, meistens Mercedes und daneben waren unsere Trabbis Spielzeugautos. Die waren doppelt so lang. Die Ostler, die West-Freunde hatten, bekamen so viel von denen geschenkt. Sogar Seifen waren bei uns im Osten knapp. Die gewöhnlichen „Fa“-Seifen.

Wie war das Schulsystem in der DDR? Gab es Unterschiede im Schulsystem der DDR und der BRD?

Nach dem Mauerfall erkannten wir Ostler, dass wir den West-Studenten fausthoch überlegen waren. Die brauchten doppelt so lange an der Uni und wir waren nach 2-3 Jahren schon fertige Ingenieure und Ärzte. Nach dem Studium bekamen wir unsere Diplome erst nach Absolvieren von 2-3 Monaten als Erntehelfer. Die Westler brauchten das nicht.

Welche Ausbildungsmöglichkeiten hat es gegeben?

Unsere Studienplätze erhielten wir nach unseren Noten. Aussuchen konnten wir nicht, meine Freundin musste Chemie studieren, obwohl sie gerne Medizin studieren wollte.

Welchen Beruf haben Sie zu DDR-Zeiten ausgeübt und waren Sie mit diesem zufrieden?

Ich habe in der DDR Jura studiert, doch ich habe nie als Anwalt gearbeitet, da ich meine drei Kinder erst bekommen wollte. Im Nachhinein war das ein Glückstreffer, denn nach dem Mauerfall konnte ich mir meine erste Kanzlei im Westteil aufmachen. Ich musste mich nicht rechtfertigen, in der DDR als Anwalt voreingenommen zu sein.

Wie sah die Arbeitslosigkeit aus?

Es gab überhaupt keine Arbeitslosen. Jeder hatte irgendwie Arbeit und sei es als Erntehelfer.

Welche Möglichkeiten hatten Sie auf Bezug zu Wahlen?

An Wahltagen kamen die Wahlhelfer mit ihren Wahlurnen sogar ans Krankenbett, um die Stimmen einzuholen. Deshalb war die Wahlbeteiligung in der DDR auch immer konstant bei 99%. (Schmunzel Schmunzel)

Wie sind Sie mit der Ausweispflicht umgegangen und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Ausreisen gemacht?

Da mein Ehemann ein Bürger der ehemaligen Sowjetunion ist, konnten wir ständig in seine Heimat ausreisen. Mein Vater hatte Geld und durch ihn hatten wir es auch leichter als die anderen in der DDR.

Sind Sie jemals in den Westen gereist?

Ja, aber immer alleine. Mein Mann war zweimal drüben und ich einmal, aber nie zusammen. Egal, ich habe mich trotzdem amüsiert. Ich war einkaufen, doch beim Grenzübergang Friedrichstraße musste ich immer alles vorlegen. Die Einkäufe durften niemals einen bestimmten Geldbetrag übersteigen. Die hatten Preislisten und deshalb habe ich die Kleider vorher gewaschen und zerknittert, damit sie benutzt aussahen. Meine eigenen Klamotten hatte ich vorher entsorgt.

Haben Sie jemals daran gedacht, aus der DDR zu fliehen?

Wie gesagt, durch meinen Vater und meinen Mann hatten wir Privilegien. Mein Mann hatte in der DDR Germanistik studiert, wo wir uns kennenlernten. Zwei Akademiker haben es überall leichter. In der DDR hatte man zwar keine Klassentrennung (Arbeiter- und Bauernstaat), doch die einfacheren Arbeiter mussten schon schwer schuften. In meinen Träumen wollte ich schon woanders leben.

Kamen viele Menschen ins Gefängnis?

Gefängnisse gab es in der DDR. Auch hier wurden einfache Verbrechen begangen wie überall auf der Welt. Natürlich wurden Ausreißer mit der strengsten Auflage inhaftiert. Nach deren Entlassung waren sie ruiniert. Niemand wollte ihnen trauen oder helfen. Sie bekamen vielleicht Arbeit, aber die Kinder hatten keine Chancen auf höhere Berufe.

Hatten Sie jemals einen Freund bei der Stasi?

Das mit der Stasi ist Geschichte, ich selber glaube, dass jeder DDR-Bürger ausspioniert wurde. Das fing bereits in der Kita an, die Kindergärtnerin befragten unauffällig die Kinder. Auffällige Bemerkungen wurden notiert, für wen auch immer. Ich machte um dieses Thema einen großen Bogen. Später erfuhr ich, dass sie sogar Telefonate belauschten. Bestimmt wurden wir ebenfalls bespitzelt, denn mit einem ausländischen Mann fiel man immer auf.

Waren Sie von Ihren Verwandten getrennt?

Alle meine Verwandten leben in der DDR, doch die Familie meines Mannes lebt in Russland. Sie haben uns immer besucht, die jüngeren aus seiner Verwandtschaft studierten ebenfalls in der DDR.

Wie empfanden Sie das Leben in der DDR im Rückblick und damals?

Jetzt wundere ich mich darüber, wie eingeengt wir damals lebten. Deshalb reisen wir in die Ferne. Meine Tochter studiert ein Jahr in Kanada, damals wäre das unmöglich gewesen. Doch etwas war in der DDR-Zeit gut, die Nachbarschaft. Wenn einer krank wurde, halfen wir uns untereinander. Jetzt ist das irgendwie verloren gegangen.

Leben Sie heute noch in alten Teilen der ehemaligen DDR?

Nein, meine ganzen Freunde und ich leben im Westteil.

Wie waren die Preise für Nahrung im Vergleich zu heute?

Da der Verdienst nicht so hoch war wie im Westteil, waren die Lebensmittel auch günstiger im Preis. Ein einfacher Mensch verdiente zwischen 300 und 500 Mark. Eine Packung Gummidrops kostete 45 Pfennig. Wir konnten immer sparen, weil wir auch nicht so viele Produkte zum Kaufen hatten wie im Westteil. Wir sparten im Durchschnitt 6-8 Jahre für einen neuen Trabbi.

Konnten Sie in ihre Stasi-Akte einsehen, wenn Sie eine besaßen? Wurden Sie ausspioniert?

Ich wollte das nicht, als Anwältin will ich mich auch nicht mit der DDR auseinandersetzen. Man kann im Nachhinein die Geschichte sowieso nicht mehr ändern, also warum sollte ich mich jetzt darüber aufregen müssen.

Vermissen Sie Produkte aus der DDR, z.B. besondere Lebensmittel oder Gegenstände?

Nein, wir leben wie im Schlaraffenland. Über einige West-Produkte muss ich aber lachen. Die waren so billig im Westen, aber für uns Ostler waren sie Gold wert. Weichspüler wie „Lenor“ gab es nicht, „Fa“-Seifen, „Kinderschokolade“ usw., jetzt schauen wir diese Artikel nicht mehr an.

Haben Sie einmal gegen das Gesetz verstoßen?

Nein, niemals. Denn ich hatte riesige Angst, uns unser Leben zu versauen. „Habe niemals Ärger mit der Polizei!“, das war unser Motto. Einmal hatte eine Bekannte sich über einen Lehrer beschwert. Die armen Kinder dieser Frau mussten dann dafür büßen. Die bekamen keine guten Noten mehr und später auch keinen Studienplatz.

Kennen Sie Fluchtgeschichten von Freunden oder haben Sie welche selbst erlebt? Können Sie von Schicksalen von Freunden oder Verwandten berichten?

Zu meinem Bedauern muss ich immer wieder sagen, dass ich es einfacher hatte als die restlichen Bürger. Auch meine Freunde hatten es relativ gut und bequem in der DDR. Keiner wollte fliehen oder einen Ausreiseantrag stellen. Auch wir hätten in Russland bleiben können und von dort nach Westdeutschland fliehen können, doch wir wollten das nicht aufgeben.