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Emily Adams, Lara Winterhoff, Mauricio Pranke, Jonas Klinger

Nur zwei Schüsse

Die folgende Geschichte basiert auf dem Schicksal von Chris Gueffroy, der in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989 zusammen mit seinem Freund Christian Gaudian aus der DDR flüchten wollte und dabei erschossen wurden. Er war das vorletzte Todesopfer an derBerliner Mauer und das letzte Opfer, das durch den Einsatz von Schusswaffen ums Leben kam.

Mike, der 27 jährige Teilzeit Journalist aus Treptow, ist ein durchschnittlicher DDR Bürger, der die Mauer schon immer verachtet hat. Sein großes Lebensziel ist Pilot in der Armee zu werden. Die Verfolgung seines Ziels wird allerdings durch seine Mutter unterbunden, da sie die Armee zu stark ablehnt. Aus Rücksichtnahme und Liebe zu seiner Mutter, respektiert Mike ihre Meinung und entscheidet sich, das Angebot der Armee abzulehnen. Der Direktor von Mike war dermaßen verärgert über diese Entscheidung, dass er Mike kurzerhand nicht zum Abitur zuließ. Mikes Ablehnung gegen das System der DDR wird nur verstärkt, sodass er sich zunächst entscheidet, die Schule ganz abzubrechen, was für sein Gymnasium ein starker Verlust ist, da viel Hoffnung auf Mikes schulischen Erfolg gesetzt wurde. Mike verdient sich sein Geld im Restaurant „zum Treptower Eck“. Dort lernt er seinen späteren besten Freund Ronny kennen, der ebenfalls schon immer ein stiller Verachter der DDR war. Aufgrund der politischen Situation in der DDR hatten beide in ihrerArbeitsstätte einige Konfrontationen mit ihren Vorgesetzten, u.a. mit Harald Bröcker, der ein großer Unterstützer der demokratischen Republik ist.

Durch unnötige Steuerzahlungen, der Trennung von Teilen ihrer Familien und allgemeiner Ungerechtigkeit fühlen sich die beiden in ihrer Freiheit als Menschen beraubt und träumen von einem besseren Leben im Westen. In den folgenden Monaten nähern Ronny und Mike sich dem Gedanken der Flucht an, bis sie sich nach schlimmen Beleidigungen der Stasi schließlich endgültig dafür entscheiden, aus der DDR zu flüchten. Den Gedanken, einfach einen Antrag zu stellen, ließen sie schnell fallen, da sie schon von zu vielen gescheiterten Aktionen gehört haben und eine wahrscheinliche Absage als zu riskant einstuften, weil die Menschen nach gescheiterten Anträgen unter stärkerer Beobachtung standen. Ronny und Mike entscheiden sich dafür, sich 2 Mal in der Woche im Hinterzimmer ihrer Kneipe zu treffen, da sie Angst hatten, dass ihre Wohnung verwanzt

sein könnte.

Januar 1988, 23 Monate vor dem Mauerfall

Die letzten Menschen verlassen das Restaurant. Mike macht die Abrechnungen, kocht sich einen Kaffee und wartet auf Ronny. Er zuckt merklich zusammen, als er das Klimpern der alten Tür hört. Langsame Schritte nähern sich dem Hinterzimmer. Obwohl Mike weiß, dass es sich nur um Ronny handeln kann, durchströmt ihn ein seltsames Gefühl, denn trotz ihrer Gewissheit, dass sie nichts Unrechtes machen, verfolgt die beide die ständige Angst, plötzlich festgenommen werden zu können. Ronny betritt den Raum. „Bist du sicher das niemand dich gesehen hat?“ fragt Mike ängstlich. „Ja Mike, mach dir keine Sorgen. Wir verstoßen nicht gegen das Gesetz. Noch nicht.“ Mike flüstert Ronny daraufhin ins Ohr „kein Wort ist hier sicher, ich glaube wir sind im Moment im einzigen Raum, der nicht verwanzt ist. Wir sprechen ab jetzt in der Öffentlichkeit über unsere Reise nach Russland im nächsten Sommer.“„Klar Mikey, also, können wir auf Unterstützung von der anderen Seite rechnen? Wir haben nicht genug Geld um im Westen wohnen und essen zu können“.

„Eins nach dem anderen Ronny, es gibt noch weitaus mehr und kompliziertere Probleme zu lösen bis wir die Überreise erst geschafft haben. Also ich sage dir nun erstmal alles was ich weiß. Meine Großmutter mütterlicher Seite wohnt in Oldenburg. Sie weiß über unsere Überlegungen Bescheid und hat sich bereits angeboten, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um uns zu helfen. Für Geld ist gesorgt, mein Sparkonto öffnet uns jede Tür.“ Ronny unterbrach ihn mit einem Lächeln im Gesicht. “Na Also, wo liegen dann die Probleme?“.

Mike sah Ronny an und sah in ihm Naivität und er wusste genau, dass sein bester Freund das alles nur für ein Spiel hielt. „Ronny, ich weiß das du das alles für harmlos und lustig hälst aber wir sprechen hier von einer unglaublich gefährlichen Reise, die auch sehr schnell mit dem Tod enden kann. Bist du dir darüber im Klaren? Du musst nicht mitkommen, nur weil du denkst, dass du mich hier nicht alleine lassen kannst. Bleib hier wenn du möchtest, ich zieh das auch alleine durch.“

Auf diese Worte hin wurde auch Ronny ernst. „Man, Mike, was denkst du bloß von mir? Seit ich denken kann werde ich von diesem blöden, kommunistischen System der 'demokratischen Republik' fertig gemacht aber mir reichts, ich muss hier raus und das werde ich auch durchziehen. Mit dir, Mike, wir beide, wir schaffen das mit links, also lass uns anfangen, ja?“. Die plötzliche Entschlossenheit von Ronny überraschte Mike und er hatte zum ersten Mal das Gefühl, es könnte wirklich alles so funktionieren wie sie es sich gedacht haben.

In den folgenden Monaten trafen sich Ronny und Mike immer wieder, stets darauf bedacht keinen Verdacht zu erwecken oder beobachtet zu werden.

Dezember 1988, 11 Monate vor dem Mauerfall

Mike ist wie immer zu früh dran. Er checkt ob alle Gäste gegangen waren und begibt sich dann routinemäßig ins Hinterzimmer. Ronny hatte unter einer alten Diele einen geeigneten Platz für alle Dokumente gefunden. Jedes Mal wenn Mike nach den versteckten Unterlagen sucht, ergreift ihn wieder Panik, dass jemand alles gefunden hatte und die beiden jeden Moment festgenommen werden. Doch so war es nie. Als Ronny dann kommt, 15 Minuten zu spät, beginnen die beiden mit den allerletzten Vorbereitungen. Mike und Ronny haben nicht vor, sich im Januar und Februar noch einmal zu treffen, weil sie genau wussten, dass ihre Treffen beim Chef bekannt waren und sie langsam auffällig wurden. Außerdem wollten sie in den letzten Monaten in der DDR noch so viel Zeit wie möglich mit ihren Familien verbringen, da sie sich nicht sicher sein konnten, wann und ob sie sie jemals wiedersehen würden. Um alles noch einmal zusammen zu fassen ließt Mike Ronny den Plan ein letztes Mal vor:„Also Ronny, wir machen alles wie besprochen. Wie schon gesagt, ich hab von meinem Kumpel Michael gehört, dass der Schießbefehl am 5. und 6. Februar aufgehoben wird, weil da dieser Ministerpräsident von Schweden hier bei uns im Osten zu Besuch ist. Ich glaub ich hab mal gehört das bei solchen Staatsvisiten keine Leute an der Grenze abgeknallt werden. Du kriegst am Vierten Februar Urlaub und ich am Fünften. Passt perfekt, würde ich sagen. Also, wir haben nur diese einzige Chance, ich hoffe das du! Erstmal müssen wiruns durch die Kleingartenkolonie Holunderbusch schleichen. Ich hab mir das letztens mal angeguckt. Der für uns gefährliche Todesstreifen besteht hier aus dieser Hinterlandmauer,dem "Grenzsignalzaun", und Kolonnenweg, wo dann die ganzen Grenzkontrollen sind. Außerdem glaub ich, dass da noch mehr Zäune auf uns warten werden. Die erste Hürde, die wir erstmal überstehen müssen ist der Grenzsignalzaun. Wenn einer von uns diese Signalkabel berührt, lösen wir einen riesigen Alarm aus! Das müssen wir unbedingt vermeiden. Wenn wir diesen Zaun hinter uns gebracht haben, heißt unser Motto einfach nur noch rennen was das Zeug hält. Wenn wir Glück haben kommen wir komplett unbemerkt auf die andere Seite!“. In diesem Moment öffnet sich schlagartig die Tür. Der Chef des Treptower Ecks kommt rein und guckt starr auf die Papiere, die vor Mike auf dem Tisch liegen. „Was soll das hier? Was macht ihr hier noch? Ihr habt hier nach Ladenschluss nichts mehr zu suchen, das wisst ihr ganz genau!“ schreit er in den Raum. Mike reagiert schnell und stopft die Unterlagen in seine Jackentasche. „Ey, kein Stress! Wir wollten nur noch ein paar Sachen besprechen und hier ist der einzige Ort, an dem keine nervenden Familien oder herumschreiende Kinder sind. Wenn du willst können wir auch wieder gehen.“ Stefan, der Chef wirkt misstrauisch. Er sieht sich im Raum um und sein Blick fällt unmittelbar auf die geöffnete Diele im Boden. Die letzten Wortfetzen, die er noch aufschnappen konnte, bevor er reinkam handelten von irgendwas mit der anderen Seite. Stefan bekam sofort einen Verdacht. Er glaubte zu wissen, was die beiden vorhatten, tat allerdings so, als ob er ihnen vertraue. Leise nuschelt er „na gut, aber schließt ab wenn ihr geht“ und verlässt den Raum.

Am nächsten Tag ist er der Erste, der das Restaurant betritt. Er schließt auf und geht sofort in das Hinterzimmer. Stefan schiebt die lockere Diele beiseite und entdeckt die Papiere. Auf ihnen kann er nur Notizen und Pläne erkennen aber er weiß schon nach wenigen Minuten, dass es sich um einen Fluchtplan handeln muss. Aufgrund seiner Zeit beim deutschen Wehrdienst weiß Stefan wie wichtig es ist, seinem Land gegenüber loyal zu sein. Er akzeptiert keine Menschen, die das System nicht akzeptieren und somit fässt erden Entschluss, zur Grenze zu gehen, um die Kontrolleure zu warnen. Diese nehmen seinen Hinweis nur widerwillig auf, da es schon sehr viele falsche Tips gab. Allerdings stellt die Grenzpolizei trotzdem für den Abend 3 Scharfschützen auf, die den Befehl haben, auf jede flüchtende Person zu schießen.

5. Februar 1989, 9 Monate vor dem Mauerfall

Mike zieht sich seine schwarzen Sachen an. Er geht ins Wohnzimmer, blickt auf seine spielende Schwester und lächelt seine Mutter ein letztes Mal an. „Wo willst du denn hin, in diesem Aufzug?“ fragt sie lachend ihren Sohn. „Ich treff mich nur mit Ronny, wir gehen auf eine Party, Motto: Schwarz. Bis später, Mama.“ Es zerriss Mike, dass er seiner Mutter nicht einfach alles erzählen konnte. Seit dem Tod seines Vaters war die Mutter seine beste Freundin geworden. Sie wusste alles, er wusste alles. Alleine die Möglichkeit, dass er sie vielleicht für immer verlassen würde, verletzt Mike sehr.

Er und Ronny treffen sich bei der Kleingartenkolonie Holunderbusch. Es ist das erste Mal, dass Ronny schon vor Mike da ist. Beide sind aufgeregt, beide bekommen kaum ein 'hallo' über die Lippen. Der Plan ist klar. Mike und Ronny kennen ihn schon auswendig, wissen was sie tun müssen und wissen, wann sie es tun müssen. Die Dämmerung setzt ein und die Beiden gehen los. Sie schleichen mindestens 2 ½ Stunden durch die Kolonie, warten auf den richtigen Moment. Dann geht es los, beide fangen an zu rennen. Sie überqueren den Grenzsignalzaun, Mike voraus. Doch als Ronny hinter herkommen will, verfängt er sich und löst den Alarm aus. Man hört Schreie von Grenzsoldaten. Mike hilft Ronny und die beiden rennen um ihr leben. Sie überqueren noch einen weiteren Zaun, ohne beschossen zu werden. Bei dem letzten Zaun angekommen, gibt Mike Ronny eine Räuberleiter. In diesem Moment fallen zwei Schüsse. Einer trifft Mikes Bein, der andere seine Brust. Er sackt zusammen. Ronny schreit: „Mike, nein, Mike wach auf, wach auf Junge! Bitte komm schon!“. Er versucht Mike aufzuwecken. Erfolglos. In diesem Moment erreichen 3 Grenzsoldaten den Tatort. Sie schreien Ronny an, „Hände über den Kopf, mit dem Gesicht zum Zaun, sofort!“ Ronny tut was sie ihm ins Gesicht schreien. Kurz daraufhin verliert er das Bewusstsein, in Gedanken nur bei seinem toten besten Freund. Die Flucht ist gescheitert.