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Philosophie und Religion - ein spannungsgeladenes Verhältnis

Immer wieder begegnet man der Auffassung, dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und des religiösen Glaubens im Widerspruch stehen. Religion gilt vielerorts als unglaubwürdig, da die Existenz eines Gottes für die Sinne nicht erfahrbar und den Verstand nicht nachvollziehbar ist. Allein die Vernunft habe den Schlüssel einer Wirklichkeitserschließung in der Hand und könne das Recht auf Wahrheit für sich beanspruchen. Die Erkenntnisse der modernen Physik und Biologie über die Entstehung und Entwicklung der Welt scheinen diese Haltung auf den ersten Blick zu bestätigen.

Wie aber sieht es mit den existentiellen Bereichen des Menschseins aus wie Liebe, Hoffnung, Frieden, Gerechtigkeit und Tod?

Können diese Fragen allein durch wissenschaftliche Erklärungen beantwortet werden?

Offenheit und Toleranz - Das Leitbild unserer Schule

Das Paul-Natorp-Gymnasium, das in seinem Leitbild einen "verantwortlichen Umgang mit fachlichen Inhalten in der notwendigen Offenheit und Zugewandtheit" fordert, bietet seit einem Jahr einen Philosophiekurs in der Oberstufe an, der in Kooperation mit dem Fachbereich Religion durchgeführt wird.

Hier wird in besonderem Maße eine "Kultur des Zuhörens, der Toleranz und der Auseinandersetzungsbereitschaft"(siehe Leitbild "Bildung") praktiziert.

Zugänge zur Philosophie - Zugänge zur Religion

Das erste Kurshalbjahr des Philosophiekurses ist mit dem Schwerpunkt "Werte und Normen" überschrieben.

Neben einem grundlegendem Propädeutikum stehen die verschiedenen Zugänge der Philosophie und der Religion auf der Tagesordnung (Weitere Hinweise hierfür auf der Seite "Schulinternes Curriculum").

Im Rahmen der Sequenz "Zugänge zur Religion" stehen Beiträge der Empirischen Psychologie, der Religionsphilosophie, der Tradition der Mystik, der mittelalterlichen und aktuellen theologischen Diskussion auf dem Programm.

Lebensnaher Unterricht

Einen besonderen Einschnitt erlebte der Philosophie-Unterricht durch die Schüler-Befragung eines Paters des Franziskaner-Ordens. Ein „Vertreter des Glaubens“ sollte den Jugendlichen nach Abschluss ihres vorwiegend theoretischen Studiums einen authentischen Zugang zur Religion ermöglichen.

Pater Clemens: Zur Person

Katholischer Ordenspriester, 47 Jahre alt,

seit 25 Jahren im Franziskaner-Orden,

z.Zt. tätig in der St.Ludwig-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf

und bei der Ökumenischen AIDS-Initiative Kirche positHIV

Pater Clemens stellte von vornherein klar, dass er nicht gekommen sei, zu missionieren, sondern die Fragen der Schüler ins Zentrum der Begegnung zu stellen. Im Übrigen verstehe er sich nicht als Vertreter eines exklusiven Kreises Gleichgesinnter, wie Kirche manchmal aufgefasst wird, die jene ausschließt, die nicht zu ihr passen, weil sie anders denken, reden, leben und handeln.

Er fasse Kirche auf als ein lebendiges Unterwegssein, mit den Menschen, für die Menschen und bei den Menschen.

Unterwegssein schließt die Erfahrung unverdienter und voller Annahme durch Gott ebenso ein wie auch Gottesferne, wenn Zweifel den Glauben übermannen.

Fragen und Antworten

Nach diesem persönlichen und überaus gewinnendem Statement wurde ein umfangreicher Fragen-Katalog der Schüler zu Glaubensinhalten zur Sprache gebracht.

Hier seien nur Stichworte genannt:

  • Bemisst sich der Wert eines Menschen nach seinem Glauben?
  • Kommen auch Ungläubige in den Himmel?
  • Wer kommt in die Hölle und muss vorher das Fegefeuer durchleiden?
  • Haben Homosexuelle in der katholischen Kirche keinen Platz?
  • Schwangerschaftsabbruch - eine Tod-Sünde?

Botschaft der Drohungen oder der Versöhnung?

Pater Clemens antwortete, dass, wenn Kirche mit Drohungen auftrete, dieses mehr als ein großes Ärgernis sei und das eigentliche Bild eines barmherzigen Gottes vollends unkenntlich macht.

Als erstes gelte es jeden Einzelfall zu bewerten und jedem Menschen in seiner Hilfsbedürftigkeit ernst zunehmen und beizustehen. Moralpredigten helfen hier nicht weiter. Er kenne den „Katechismus der Katholischen Kirche“, in dem Richtungsweisendes und Bindendes zu finden sei, nach dem Christen ihr Leben verantwortungsvoll gestalten.

Aber: Jede Situation verlangt nach einer persönlichen, eigenen Lösung, die verantwortungsvoll und versöhnungsoffen entwickelt werden müsse.

Und das Leid in der Welt?

Bei der Frage nach dem Leid in der Welt (hervorgerufen durch Krankheit, Kriege, Katastrophen) angesichts eines "allmächtigen" Schöpfer-Gottes wurde es still in der Klasse.

Natürlich gebe es "einige Regalmeter" theologische Darlegungen zur Theodizée-Frage, die in der Praxis und in je konkreten Situation des Gegenübers nur ansatzweise hilfreich sind. Pater Clemens berichtete von seinen Seelsorge-Erfahrungen, in denen seine Stimme versagte. "Es gibt Dinge, die ich nicht verstehe. Ich glaube aber nicht, salopp ausgedrückt, dass da oben jemand hockt und sich entschließt `Dir würge ich einen rein!`, um dich zu bestrafen für etwas, das du nicht geschafft hast.“

Es sei angemessener, nicht nur vom Gott der Liebe, sondern vom „Gott der Herausforderung“ zu reden. Von einem Gott, den wir vollends niemals begreifen können. Ja, Gott ist auch oft ein `ferner Gott`, dessen Tun und Lassen man nicht immer verstehen oder gar begreifen kann."

Etwas entspannter ging es bei Nachfragen zum braunen Habit des Franziskaner-Paters zu. Clemens stellte nicht nur die vielen verborgenen Innentaschen seiner Kutte vor (Taschentücher und Smartphone sind immer dabei), sondern ließ auch seinen Mantel-Umhang durch die Schülerreihen reichen. Auch Fragen zu seinem persönlichen Werdegang ("Anti-Lieblingsfach" Mathe) , Leben (50 € Verfügungsgeld im Monat) und Vorlieben (Krimis, Schokolade, „offene“ Autos) wurden gerne beantwortet.

Sakramente - Sichtbare Zeichen des Glaubens

Deutliche Aussagen schlossen zum Verständnis der Sakramente der Eucharistie, der Ehe und der Buße an.

Das Beichtgeheimnis hat bei den Anwesenden ein besonderes Interesse geweckt und zu neuen Einsichten zum Sakrament der Buße geführt, das Clemens als Chance zur Versöhnung mit sich selbst, seinen Mitmenschen und Gott versteht.

Fazit

Bei diesem Treffen wurden in einer sehr angenehmen, einander wertschätzenden Gesprächsatmosphäre kritische Fragen offen gestellt und neue Wege zur Verständigung geschlagen. Komplimente an die Schüler und dankbarer Beifall beschlossen die Zusammenkunft.